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Neues von Chury - UPDATE V

Zwei Tage vor dem Vorbeiflug des Asteroiden 2015 TB145 [1, 3] erfolgt die Veröffentlichung neuer, unerwarteter Ergebnisse zum Kometen 67p/Churyumov-Gerasimenko ("Chury") [1, 1a].

Die Koma [1] eines Kometen (Abb. 1) entsteht, wenn er sich in Richtung der Sonne bewegt und ausreichend aufgeheizt wird; sie umgibt den Kometenkern wie eine Atmosphäre und besteht aus Staub, Gas und Eis.

Die Koma wird in der Regel von den Molekülen Wasserdampf (H2O(g)) [1], Kohlenmonoxid (CO) und -dioxid (CO2) [1] dominiert. Diese Molekülsorten stellen rund 95 Prozent der Gassorten der Koma. Weiterhin kann die Koma Moleküle wie Schwefelverbindungen [1], komplexe Kohlenwasserstoffe [1]
oder Edelgase [1] enthalten.

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Abb. 1 Die Koma des Kometen Chury am 30. September.
Die helle gelbliche Kondensation im Kometen bezeichnet seinen Kern,
die orangefarbenen und rötlichen Bereiche seine Koma.
Links oben befindet sich ein heller Stern.
© A. Firtsimmons/Liverpool Telescope

 

Die Koma von Chury enthält neben diesen chemischen Verbindungen unerwarteterweise Sauerstoffmoleküle (O2*) [1, 2, 4]. Eine sensationelle Entdeckung.

Die Messungen
Das Ergebnis stammt aus Messungen des Massenspektrometers [1] der Kometensonde Rosetta im Zeitraum September 2014 bis März 2015 [1, 1a].
Zu dieser Zeit befand sich Rosetta relativ nah am Kometen und konnte Moleküle in dessen Koma besser aufspüren und ihre chemische Zusammensetzung analysieren.

Die Analysen konzentrierten sich auf die Messung von Gasmolekülen und deren Häufigkeiten unter dem Einfluss des Sonnenwindes[1, 5] auf die "lose" Kometenoberfläche (Abb. 2a, 2b). Dabei entdeckte man, dass die Häufigkeit der Sauerstoffmoleküle nicht schwankte, auch nicht mit dem Abstand zur Sonne.

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Abb. 2a Einfluss des Sonnenwindes auf die Aktivität des Kometen Chury.
Mit zunehmender Erwärmung von Oberflächenregionen wird der Komet
aktiver. Dabei sublimieren [1] auf und unter der Oberfläche festsitzende Eissorten. Die entsprechenden Moleküle werden gasförmig und bewegen sich in die Koma. © ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS

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Abb. 2b Einfluss des Sonnenwindes auf die Aktivität des Kometen Chury.
Die Aufnahmen zeigen den Kometen am 23. Mai und am 23. Juni dieses Jahres.
Durch die Erwärmung der Oberfläche des Kometen verändert sich dessen Morphologie.
Im Hintergrund sieht man Jets [1], die Material in die Koma schleudern.
© ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS

 

Die Erklärung der neuen Beobachtungen: der Sauerstoff stammt aus dem Kometen und löst sich nicht einmalig von seiner Oberfläche und verschwindet anschliessend in den Weltraum. Die Konzentration der Sauerstoffmoleküle in der Koma war während der Beobachtungen stets gleichbleibend.

Sauerstoffmoleküle bei Chury
Doch nicht nur die Existenz der (freien) Sauerstoffmoleküle auf Chury ist überraschend, sondern auch deren Häufigkeit, so die Forscher [2]. Zwar ist Sauerstoff das dritthäufigste chemische Element des Universums [1], jedoch reagiert Sauerstoff normalerweise relativ schnell und bildet neue Molekülsorten bzw. geht neue Verbindungen ein.

Die Forscher wissen bereits seit Jahren, dass Sauerstoff- und Wasserstoffatome auf den Oberflächen kalter Staubkörner [1] Wassermoleküle bilden; die hochenergetische Strahlung der Sonne kann Sauerstoffmoleküle aufspalten, dabei kann in der Erdatmosphäre [1] das Molekül Ozon (O3) [1] entstehen.

Durchschnittlich befinden sich im Vergleich zum Wasser, dem häufigsten Molekül in einer Kometenkoma, rund 3,8 (± 0,85) Prozent molekularer Sauerstoff* in der Koma von Chury. Das ist etwa Zehn mal mehr als erwartet.

Somit kommen Sauerstoffmoleküle nicht nur auf den Eismonden [1] der Planeten Jupiter [1] und Saturn [1] vor, sondern auch auf Kometen.
Eine Sensation!

Wasser- und Sauerstoffmoleküle werden meistens zusammen beobachtet, was auf ähnliche Prozesse zur Entstehung beider Molekülsorten hindeutet.

Jedoch können laut der neuen Veröffentlichung [2] Szenarien ausgeschlossen werden, in denen Sauerstoff als Nebenprodukt entsteht, wenn Wassermoleküle - beispielsweise durch Photonen [1] oder Elektronen [1] - aufgespalten werden. Die unabhängige Existenz der Sauerstoffmoleküle in Churys Koma sei real.

Nun müssen die Forscher erklären, weshalb diese Sauerstoffmoleküle bisher nicht mit anderen Elementen reagiert haben und Milliarden von Jahren am Kometen überlebten.

Eine mögliche Erklärung
Die Wissenschaftler erklären den relativ hohen Anteil der Sauerstoffmoleküle in Churys Koma damit, dass es sich um ein Überbleibsel seiner Entstehung vor Milliarden von Jahren handele. Dabei könnten die gasförmigen Sauerstoffmoleküle in kleine Eis- und Gesteinskörnchen, die den Kern des Kometen bilden, eingeschlossen worden sein.

Eine andere neue Veröffentlichung [6] geht davon aus, dass die Sublimation kristalliner Eissorten (bevorzugt) in Löchern (wie in den Regionen Ash oder Seth [1]) auf der Kometenoberfläche stattfindet (Abb. 3), allerdings nur dann, wenn der Komet keinen dichten Staubmantel besitzt und Staubkörner existieren, die klein genug sind, um aufgrund des unter der Oberfläche entstehenden Gasdrucks durch das poröse Gestein zu schlüpfen.

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Abb. 3 Löcherartige Strukturen auf Churys Oberfläche.
Die Strukturen befinden sich in den Regionen Ash und Seth.
© ESA/Rosetta/yahw

 

Aufgrund der porösen Kometenoberfläche könnten auf diese Art und Weise entweder regulär oder episodenartig stattfindende eruptive Prozesse stattfinden (Abb. 4), bei denen Gas freigesetzt wird.

Im Falle von regulären Gaseruptionen besitzt der Komet wahrscheinlich eine große Porosität; dabei könnten Gasmoleküle aus Tiefen bis zu rund 100 Metern relativ einfach an die Oberfläche gelangen. Bei episodischen Ausbrüchen dagegen könne sich aufgrund einer niedrigen Porosität der Gasdruck unterhalb des Staubmantels einfacher aufbauen.

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Abb. 4 Mögliche Schichtung und Temperaturverlauf der porösen Kometenoberfläche. Durch die poröse Struktur könnten unterhalb der Oberfläche festsitzende Gasmoleküle sublimieren und an die Oberfläche gelangen. Unterhalb einer porösen Stabschicht befindet sich eine Mischung aus Gas sowie porösem kristallinen Eis und Staub. © [7]

 

Ein sozusagen versiegelter Staubmantel des Kometen würde episodische Ausbrüche favorisieren, währenddem sich bei einem hochgradig porösen Kometen unterhalb der Oberfläche große Leerräume bilden könnten, aus denen Gas kontinuierliche ausströmen kann.

Das beschriebene Modell [7] ist vorläufig und berücksichtigt (noch) nicht den Einfluss von Schattenwürfen oder die Form der Löcher in der Kometenoberfläche, aus denen Gas leichter sublimieren kann. Ebenfalls ist unklar, ob sich die großen Löcher auf der Oberfläche vor oder nach Churys Aktivitätszunahme im Jahr 1959 gebildet haben.

Primordialer Sauerstoff und die Entstehung des Sonnensystems
Wahrscheinlich ist der bei Chury gefundene Sauerstoff primordial [1] und somit älter als unser Sonnensystem, so einer der beteiligten Forscher.
Möglicherweise ist das Vorkommen von Sauerstoffmolekülen in Kometen keine Ausnahme, sondern eher die Regel.

Der neue Befund könnte an der bisherigen Vorstellung über die Bildung des Sonnensystems [1] rütteln, denn die meisten Modelle zur Entstehung des frühen Sonnensystems schließen die Erklärung von primordialem Sauerstoff aus.

In den konventionellen Modellen herrscht bei der Entstehung des Planetensystems ein eher chaotischer Zustand, in dem sich die vorhandene Materie wieder und wieder mischt, auf die Sonne zu und wieder von ihr weg strömt.

Daher gingen die Forscher bisher davon aus, dass Eiskörnchen, die Sauerstoffmoleküle enthalten, das chaotische Vermischen im frühen Sonnensystem nicht überlebt hätten. Vielmehr verbinden sich in den konventionellen Modellen Sauerstoff und Wasserstoff zu Wassermolekülen.

Möglicherweise war der Beginn unseres Sonnensystems nicht derartig chaotisch, sondern viel "milder". Dann hätten die Sauerstoffmoleküle der dunklen, kalten Molekülwolken [1], aus denen sich die Kometen wahrscheinlich gebildet haben, überlebt und bis heute erhalten.

Andere Wissenschaftler bleiben skeptisch, schliessen jedoch nicht aus, dass diese Erklärung im Falle geeigneter chemischer Häufigkeiten der beiden chemischen Elemente und Temperaturen eine Alternative darstelle.

Im Falle von Exoplaneten [1] werten viele Wissenschaftler die Kombination von Sauerstoffmolekülen und Methan [1] als Zeichen möglichen Lebens.

Bis vor einigen Jahren nahmen die Wissenschaftler an, dass Kometen für die Entstehung von Leben auf der Erde mitverantwortlich seien; diese Annahme wurde zugunsten der Asteroiden verworfen. Nun könnten Kometen doch eine größere Rolle für die Erde gespielt haben als vermutet.

Inzwischen besitzt Chury eine Helligkeit von etwa 12 mag und ist am Morgenhimmel beobachtbar.

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Abb. 5 Position des Kometen Chury am 29. Oktober gegen 05:00 Uhr am Osthimmel. Der Komet (Kreuz) befindet sich oberhalb der Planetenkette
aus Jupiter, Venus und Mars. © [7]

 

Falls Sie Fragen und/oder Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Information über astronomische und physikalische Begriffe
www.wikipedia.de

[1a] Artikelserie zum Kometen Chury
http://ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles__rosetta__hauptseite.html

[2] Bieler, A., et al., Nature 526, 678-681 (2015)

[3] Information über den Asteroiden 2015 TB145
http://ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles__martin_luthers_asteroid.html

[4] www.esa.int

[5] 3D-Ansicht der Aktivität des Kometen Chury
http://sci.esa.int/science-e-media/img/32/Rosetta_OSIRIS_Comet_67P_jet_in_3D_625.jpg

[6] Mousis, O. et al., A&A (in press) (28 Oct 2015)

[7] Luspay-Kuti, A., et al., 46th LPSC (2015)

 

 

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