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Chury - Das Bild wird runder

Die Kometensonde Rosetta [1, 1a] untersucht den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko ("Chury") [1, 1a] seit August 2014.

Wir möchten den aktuellen Wissensstand kurz zusammenfassen:

Oberfläche und 3D-Modell
Für die Aufnahmen des Kometenkerns [1], dessen Aktivität sowie dessen Umgebung im Hinblick auf Staub und Gas sind zwei wissenschaftliche Kameras verantwortlich. Mithilfe dieser Aufnahmen konnte eine 3-dimensionale Ansicht von Chury [6] angefertigt und dessen Oberfläche in unterschiedliche morphologische Bereiche [1] eingeteilt werden. Die hochaufgelösten Aufnahmen des Kometen zeigen eine unerwartete Vielfalt von Oberflächenstrukturen.

Aktivität und Moleküle
Beobachtungen der Aktivität des Kometenkerns in Form von Jets [1] konnten auf die Kometenoberfläche projiziert und mit dort aktiven Bereichen korreliert werden (Abb. 1).

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Abb. 1 Aktive Regionen des Kometen Chury im April 2015.
Die blauen Markierungen (links) basieren auf einem 3d-Modell des Kometen.
Rechts: Das kreisförmig markierte Gebiet weist auf eine der aktiven Regionen der Kometenoberfläche; dort beobachtete man die Entstehung eines Jets (rechts unten). Entfernung zum Kometen rund 91 Kilometer; Auflösung 1,65 km. Durchmesser des kreisförmig markierten Gebietes rund 80 Meter.
© Vincent et al. [8]

 

Der Anstieg der Aktivität von Chury nach dessen Perihel [1] im August manifestierte sich in zahlreichen Ausbrüchen mit starken, kollimierten [1] Jets, die sich hauptsächlich auf der südlichen Hemisphäre des Kometen befanden.

Mithilfe des MIRO-Detektors (Microwave Instrument for the Rosetta Orbiter) [1], dem US-amerikanischen Beitrag zur Kometensonde, konnten seit Juni 2014 im Mikrowellenbereich [1] zahlreiche Moleküle [1] beobachtet werden.
Die Interpretation dieser Daten erfolgte mithilfe eines Laborvergleichs, dem sog. LOSSy laboratory (Laboratory for Outflow Studies of Sublimating Materials) [1]. Dabei lag der Fokus auf der Identifikation von chemischen Substanzen bei und auf Chury sowie einer Charakterisierung der Entwicklung der Kometenoberfläche unter Weltraumbedingungen.

Temperatur
Messungen der Bereiche unterhalb der Kometenoberfläche zeigen, dass insbesondere die nördliche Hemisphäre von Chury große Temperaturvariationen zeigt, die vom Breitengrad abhängen.

Staub [4]
Die Beobachtungen von Staub bei Chury unterscheiden zwischen kleinen porösen Teilchen mit Durchmessern von 0,2-2,5 Millimetern und grossen Teilchen mit Durchmessern von 80-800 Mikrometern [1].
Die kompakten Staubteilchen scheinen eher mit dem Halsbereich von Chury assoziiert zu sein und zeigen eine stärkere Korrelation mit der Sonneneinstrahlung.

Jets
Im März 1986 entdeckte die Giotto-Mission [1] zum Kometen 1P/Halley [1], dass sich die Aktivität des Kometen nicht gleichmäßig über dessen beleuchtete Oberfläche verteilt. Der Hauptteil des Kometenkerns war dunkel und scheinbar inaktiv; lediglich einige Prozent der Kometenoberfläche zeigten stark kollimierte Ausströmungen von Gas und Staub, die Jets [1].

Im Falle von Chury beobachtet man seit August 2014 eine Wanderung der Jet-Aktivität in Richtung Süden, jedoch keine Jets in glatten, staubbedeckten Regionen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Staubschicht der Kometenoberfläche gute thermisch isolierende Eigenschaften [1] besitzt und verhindert, dass Wärme von aussen die flüchtigen Gase unterhalb der Staubregion erreicht - wenn die Staubschicht dick genug ist.

Wahrscheinlich befinden sich die flüchtigen Gase verschiedener Eissorten typischerweise rund einen Zentimeter unterhalb der Kometenoberfläche.

Andererseits zeigen Felswände und andere vertikale Strukturen keinen Staub auf ihrer Oberfläche; der Staub fällt aufgrund der Einwirkung der Schwerkraft [1] nach unten. Bei ähnlichen Beleuchtungsbedingungen sind dort flüchtige Gase einer größeren Wärmeeinwirkung ausgesetzt als Eisschichten unterhalb einer Staubschicht (in einer flachen Region).

Je näher Chury der Sonne kommt, desto stärker ändert sich die Jetaktivität. Seit Ende März beobachtet man mehr Jets, die aus glatten Oberflächenstrukturen stammen. Die stärker werdende Sonneneinstrahlung setzt dann flüchtige Gase frei, die in größeren Entfernungen von der Sonne durch die Staubschicht vor dem Verdampfen bzw. dem Entweichen geschützt wurden.

Die Beobachtung von Staubjets [1], dem kollimiertem Ausströmen von Kometenmaterial aus dem Kern, konnte ihre Entstehung bisher nicht vollständig erklären. Die grossen Staubjets scheinen mit dynamischen Prozessen der lokalen Topografie [1] zusammenzuhängen, die die Staubjets fokussieren. Hochaufgelöste Aufnahmen zeigen, dass sich die breiten gefächerten Staubjets in Wahrheit aus vielen kleineren Strukturen zusammensetzen, die jeweils etwa einen Meter breit sind; sie stehen wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit der Kometenoberfläche.

Bei zunehmender Sonnenbestrahlung konnten verschiedene Arten von Jets beobachtet werden - einige davon existierten sogar nach dem lokalen Sonnenuntergang am Kometen - sowie ein Anstieg von vorübergehenden Jet-Ereignissen mit einem plötzlichen Freisetzen von Staub und Gas.

Während dem Zeitraum der Perihelpassage [1] wurden einige dramatische Staubauswürfe beobachtet, die sehr intensiv, aber kurzlebig waren.
Die Dauer dieser Aktivität lag zwischen einigen 10 Minuten bis zu einigen Stunden. Die beiden intensivsten Staubausbrüche wurden am 10. Juli und
am 22. August beobachtet. Während des Ausbruchs wurde der Staub wesentlich heller als der Kometenkern selbst. Die Ausdehnung der Staubwolken konnte ebenfalls beobachtet werden.

Rückkopplung
Die lokale Oberflächentopografie sowie die physikalischen Eigenschaften der Kometenoberfläche können die Entstehung eines Jets ermöglichen oder verhindern. Die Aktivität eines Kometen sorgt jedoch gleichzeitig für ein Feedback in Richtung der Region, in der der Jet aktiv ist:
Bei der Entstehung eines Jets werden Staub und Gas von der Oberfläche weggefegt und verändern die Region. (Abb. 2)

Beispielsweise wurden die meisten Jets der nördlichen Hemisphäre von Chury stets im Bereich von gebrochenen Felswänden beobachtet, unabhängig von deren Position auf dem Kometen. Diese aktiven Felswände zeigen Zeichen von immer noch stattfindender Erosion [1]. (Abb. 2)

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Abb. 2 Schematische Darstellung der Oberflächenentwicklung des Kometen Chury.
Die Erosion von Felswänden setzt Material frei, das die Umgebung verändert.
Von links nach rechts: Die Felswand (blau) ist von einer Staubschicht (grau) bedeckt. Darunter befindet sich eine Mischung von Staub und Eissorten. Durch unterschiedliche Prozesse wie beispielsweise die Sonneneinstrahlung entstehen Risse in der Struktur; dadurch kann die Wärme auch tieferliegendes Material erreichen; das Eis sublimiert; dadurch wird die Bruchstruktur instabiler. Schließlich bricht die Kante der Felswand ab; das Bruchmaterial fällt bzw. "fließt" nach unten. Dadurch kann neues Material sublimieren; am Fuße der Felswände sammelt sich das Material. © Vincent et al. [8]

 

Unterhalb der Felswände finden sich große Geröllfelder. Diese Trümmer scheinen von den Felswänden heruntergefallen zu sein. Daneben beobachtet man den Zerfall der oberen Enden der Felswände (Abb. 3): die darauf befindliche Staubschicht scheint nach unten zu fliessen, wenn die Felswand kollabiert, und bedeckt das darunter befindliche Terrain. Das Abbruchmaterial dringt teilweise in die Kometenoberfläche ein.

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Abb. 3 Zeichen der Erosion auf der Kometenoberfläche von Chury.
Die beobachtete Felswand befindet sich zwischen den Regionen Seth und Hapi [1]. Die Erosion von Felswänden verändert die Umgebung. Durch Erosion können die Kanten von Felswänden brechen; das Bruchmaterial fällt bzw. "fließt" nach unten. Am Fuße der Felswände sammelt sich das Material. Der Beweis für die Erosion zeigt sich durch den Vergleich von Aufnahmen eines Gebietes, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Die markierte Region F besitzt einen Durchmesser von rund 80 Metern. Die Aufnahmen entstanden am 21. und 22. September 2014 aus einer Entfernung von rund 30 Kilometern. © Vincent et al. [8]

 

Ein weiteres Beispiel für die aktuelle Veränderung von Strukturen auf der Kometenoberfläche ist die nachfolgende Abbildung (Abb. 4). Dabei handelt es sich um eine Struktur in der Region Ash [1]. Die Vergleichsaufnahmen stammen aus dem September 2014 und März 2015.

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Abb. 4 Zeichen der Veränderung der Kometenoberfläche von Chury.
Aktive Felswände verändern die Oberfläche des Kometen. Die Sublimation und die dadurch begünstigte Freisetzung von flüchtigen Eissorten der Felswand schwächen die brüchigen Strukturen und erzeugen weitere Brüche der Felswand. Dadurch kann der Fels weiter brechen, das Bruchmaterial fällt nach unten. Die Trümmerstücke besitzen Durchmesser bis zu 10 Metern. Es entstehen neue Oberflächenstrukturen (rechts). Die Aufnahmen entstanden im September 2014 (links) und März 2015 (rechts). © Vincent et al. [8]

 

Obwohl man es nicht direkt beobachten kann: Chury ist immer noch ziemlich aktiv. Eine Aufnahme vom 19. Dezember zeigt in der normalen Ansicht zunächst nichts Besonderes (Abb. 5).

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Abb. 5 Aufnahme des Kometen Chury am 18. Dezember.
Die Aufnahme zeigt die Imhotep-Region auf der größeren Hantelseite des Kometen; sie entstand am 18. Dezember 2015 aus einer Entfernung von rund 100 Kilometern. © ESA/Rosetta/NAVCAM-CC BY-SA IGO 3.0/yahw

 

Die stark kontrastverstärkte Negativaufnahme jedoch zeigt, dass sich die Jetaktivität des Kometen über ein breites Gebiet der Oberfläche erstreckt (Abb. 6).

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Abb. 5 Negativaufnahme des Kometen Chury am 18. Dezember.
Die Aufnahme zeigt die Imhotep-Region auf der größeren Hantelseite des Kometen; sie entstand am 18. Dezember 2015 aus einer Entfernung von rund 100 Kilometern. Gegenüber der Normalansicht sind zahlreiche Jets über ein breit gefächertes Gebiet der Kometenoberfläche zu sehen. © ESA/Rosetta/NAVCAM-CC BY-SA IGO 3.0/yahw

 

Rotation
Die Rotation des Kometen Chury ist ein komplexer Vorgang. Die genaue Untersuchung der Daten weist zu 99,99 Prozent auf die Existenz einer (geringen) Präzession [1] hin - wie wir sie von unserem Planeten Erde kennen. Die Modellierung der Rotation von Chury gibt zudem wichtige Hinweise auf die Dichteverteilung des Kometen.

Aussehen und Kern
Churys Kern ähnelt einer Hantel; der Komet weist starke Schichtungen auf, besitzt eine geringe Dichte, eine hohes Verhältnis von Gas zu Staub und somit eine grosse Porosität [1].

Der CONSERT-Detektor [1] hat mithilfe von Radarwellen [1] die innere Struktur des Kometen vermessen: der kleinere Hantelteil von Chury scheint eine eher homogene Struktur [1] zu besitzen. Dabei beträgt die Porosität des Kometen 75-85 Prozent.

Chury zeigt einen großen Anteil von stark flüchtigen Gasen wie Kohlenmonoxid (CO) [1], Kohlendioxid (CO2) [1] und Stickstoff (N2) [1] sowie wahrscheinlich amorphes Wassereis [1]. Der Vergleich mit anderen Kometen weist darauf hin, dass Chury in seinem Inneren kein flüssiges Wasser enthält.

Wahrscheinlich entstanden Kometen wie Chury durch langsames Wachstum und gelegentliche Kollisionen; nur dann können sie immer noch Material enthalten, das rund 3 Millionen Jahre alt ist.

 

Unter [7] finden Sie eine einfache Zusammenfassung der Rosetta-Mission, des Verlaufes und der Ergebnisse als Zeichentrickfilm.

Churys Helligkeit liegt inzwischen bei etwa 13 mag; der Komet kann am Abendhimmel beobachtet werden.

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Über weitere Ergebnisse zum Kometen Chury werden wir Sie auf dem Laufenden halten.
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Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[1a] Artikelserie zum Kometen Chury
http://ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles__rosetta__hauptseite.html

[2] Choukroun, M., et al., A&A 583, A28 (2015)

[3] http://www.jpl.nasa.gov

[4] Della Corte, V., et al., A&A 583, A13 (2015)

[5] https://aas.org

[6] 3d-Ansicht des Kometen Chury
https://www.youtube.com/watch?v=zdLp3g27Ha8
und
https://www.youtube.com/watch?v=bUsZYYSZ7bk

[7] Zusammenfassung der Rosetta-Mission (Comic) [mehrsprachig]
https://www.youtube.com/watch?v=YlV7hqbSyo0

[8] Vincent, J,-B., et al., A&A (14 Dec 2015)

 

 

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