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Neutrinos retten unsere Zähne

Bei der Entstehung des Universums bildeten sich lediglich die beiden leichtesten chemischen Elemente [1]: Wasserstoff [1] und Helium [1]. Sämtliche anderen (schwereren) chemischen Elemente wurden erst später erzeugt, die meisten davon durch Kernfusionsprozesse [1] im Inneren von Sternen.

Die Häufigkeit der chemischen Elemente [1] trägt entscheidend zu unserem Verständnis der chemischen Entwicklung der Milchstraße [1] bei. 


Die Häufigkeit der chemischen Elemente
Der Ursprung der häufigeren leichten Elemente bis hin zum Calcium (Ca) [1] ist gut verstanden; sie entstehen durch Kernfusionsprozessein den Zentren von Sternen beginnend vom Helium-Brennen [1] über das Kohlenstoff- (C), Neon- (Ne) und Sauerstoff-Brennen (O) bis hin zu Prozessen, in denen das Element Silizium [1] beteiligt ist, das schliesslich in einer Nukleosynthese [1] durch eine Supernova [1] endet.

Der Ursprung weniger häufiger Elemente von Natrium (Na) bis hin zum Chlor (Cl) und insbesondere der Elemente Fluor (F), Phosphor (P) und Chlor ist weniger gut verstanden. Diese Elemente sind an sekundären Kernfusionsprozessen [1] beteiligt, die die häufigeren chemischen Elemente in sog. Supernovae vom Typ II (SNII) [1] erzeugen. 

Dabei können einige Häufigkeiten chemischer Elemente durch den sog. Protoneneinfang [1] in Riesensternen [1] geringer bis mittlerer Masse - sog. AGB-Sterne [1] - verändert werden. AGB-Sterne befinden sich in einer späten Entwicklungsphase und sind aufgrund ihrer großen Oberfläche sehr hell, bis zu 100.000 Mal heller als unsere Sonne; ihre Massen liegen zwischen 0,6 und rund 10 Sonnenmassen [1].


Die Erzeugung von Fluor
Das Element Fluor kennt jeder von uns - und sei es von der Beschriftung einer Zahnpastatube. Fluor bzw. Fluorit [1] wird beispielsweise Zahnpasta beigemischt, um den Zahnschmelz zu stärken und Karies [1] zu verhindern bzw. Löcher in den Zähnen zu vermeiden. Fluorit ist eine chemische Verbindung, die das Element Fluor enthält.

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Abb. 1 Künstlerische Darstellung der Bedeutung von Fluor
für die menschlichen Zähne.
 © M. Ortmanns

 

Die wenigsten von uns werden beim morgendlichen Zähnputzen darüber nachdenken, wie Fluor im Universum entstanden ist.

Fluor ist übrigens das reaktivste aller chemischen Elemente; es ist brandfördernd (sogar Ziegelsteine brennen, wenn sie mit Fluorgas [1] in Kontakt kommen), sehr giftig und ätzend. Das bekannteste und auf der Erde wichtigste vorkommende Mineral, das Fluor enthält, ist das Fluorit (Flussspat).

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Abb. 2 Fluoritkristalle
© wikipedia

 

Fluor im Universum
Im Jahr 1992 gelang US-amerikanischen Wissenschaftlern erstmals der Nachweis von Fluorwasserstoffmolekülen [1] in den Atmosphären von Roten Riesensternen [1].

Insbesondere das leichte Element Fluor kann in unterschiedlichen astrophysikalischen Umgebungen erzeugt werden: die Erzeugungsmechanismen reichen von SNII über AGB-Sterne bis möglicherweise zu Wolf-Rayet-Sternen (WR-Sterne) [1]. 

Die Erzeugung von Fluor in SNII kann jedoch die Häufigkeit von Fluor innerhalb der Milchstraße nicht vollständig erklären. Möglicherweise können Neutrinos [1] im sog. v-Prozess [1] durch ineleastische Streuung [1] an Neon-Atomen die fehlende Häufigkeit ergänzen.

In AGB-Sternen wird Fluor durch Kernfusion im Kern des Sternes sowie in der Hülle (Atmosphäre) erzeugt, wird jedoch in Sternen von mehr als 4-7 Sonnenmassen [1] oberhalb von Temperaturen von rund 250 Millionen Grad durch verschiedene Prozesse (z.B. Protoneneinfang [1]) wieder zerstört. Daher kann eine größere Menge an Fluor nur bei Sternen mit etwa 2-4 Sonnenmassen erzeugt werden, die nicht ganz so heiß werden.

Massereiche AGB-Sterne könnten zwar Fluor in größeren Mengen erzeugen, jedoch funktioniert dies lediglich in einer späten Entwicklungsphase des Sterns. Daher ist die Fluor-Erzeugung in massereichen AGB-Sternen zwar höher, jedoch wird Fluor verstärkt an das interstellare Medium (ISM) [1] abgegeben.

Die Erzeugung von Fluor ist ebenfalls in WR-Sternen möglich, wenn diese sich im frühen Stadium des Helium-Brennens befinden. WR-Sterne befinden sich ebenfalls im Endstadium ihrer Sternentwicklung und zeichnen sich durch intensive Sternwinde [1] aus, bei denen ein Großteil ihrer äußeren Schichten abgestoßen wird.

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Abb. 3 Der Wolf-Rayet Stern WR124 [1] und die von diesem abgestoßenen
Schichten, die den Planetarischen Nebel [1] M1-67 [1] bilden.
© NASA/HST

 

Die Massen von WR-Sternen liegen im Bereich 10-250 Sonnenmassen, ihre Oberflächentemperaturen im Bereich 30.000 bis 120.000 Grad.
Jedoch müssen bei WR-Sternen die Fluoratome mithilfe der Sternwinde rechtzeitig wieder an das ISM abgegeben werden, bevor die Temperatur des Sternes weiter ansteigt und das Fluor zerstört.

In jedem Fall kann die bisher beobachtete Erzeugung von Fluor die in der Milchstraße beobachtete Konzentration nicht erklären.


Die Rolle der Neutrinos
Jede Sekunde wird unser Körper von Milliarden Geisterteilchen, den sog. Neutrinos [1], durchflutet. Diese Neutrinos stammen aus dem Zentrum der Sonne, unseres Zentralgestirns. Wir spüren die Neutrinos nicht, wenn sie durch unsere Körper hindurchfliegen, denn Neutrinos wechselwirken fast nie mit gewöhnlicher Materie [1], aus der beispielsweise wir Menschen bestehen.

Nunmehr berichten Wissenschaftler, dass Neutrinos im frühen Universum an der Entstehung von Fluor beteiligt gewesen sein sollen.

In Sternen werden die meisten uns bekannten chemischen Elemente erzeugt. Fluor besitzt die Atomzahl [1] 9 und befindet sich im Periodensystem der chemischen Elemente zwischen den Elementen Sauerstoff und Neon, kommt jedoch wesentlich seltener vor als diese beiden Elemente.

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Abb. 3 Lage des Elementes Fluor (F) im Periodensystem der chemischen
Elemente. Fluor befindet sich zwischen den Elementen Sauerstoff (O) und
Neon (Ne). Weiter links folgen die Elemente Stickstoff (N) und Kohlenstoff (C).
© experimentalchemie.de

 

Sauerstoff ist nach den Elementen Wasserstoff und Helium das dritthäufigste Element im Universum. Neon ist das fünfthäufigste Element. Dagegen kommt Fluor sehr selten vor und befindet sich in dieser Rangliste nicht einmal unter den 20 häufigsten Elementen des Universums. Unter rund 25 Millionen Wasserstoffatomen findet man nur ein Fluoratom. Das Element Sauerstoff ist etwa 9.000 Mal häufiger im Universum als Fluor.

Ein massereicher Stern [1] erzeugt während seiner Entwicklung große Mengen Sauerstoff und Neon. Am Ende seines Lebens schleudert er u.a. diese Elemente bei einem Supernova-Ereignis in seine Umgebung und reichert sie mit schweren Elementen [1] an.


Neue Ergebnisse
Zwei US-amerikanische Forscher beobachteten mit dem 2,1m-Teleskop des Kitt Peak-Observatoriums [1] rund 80 Sterne innerhalb der galaktischen Scheibe[1] und suchten dort nach Fluorwasserstoffgas (HF) [1], einem Gemisch aus Wasserstoff und Fluor. Atmen Menschen Fluorwasserstoff ein, kann das fatale Folgen haben, das Gemisch ist hochgradig giftig. Bei Sternen absorbiert das Gasgemisch infrarote Wellenlängen [1] und macht sich damit im Sternspektrum [1] bemerkbar.

Die Wissenschaftler entdeckten das Gasgemisch in 51 der untersuchten 80 Sterne. Die extrem hohe gemessene Menge Fluor in diesen Sternen kann nur erklärt werden, wenn diese während einer Supernova von Neutrinos erzeugt wurde.

Wenn ein massereicher Stern bei einer Supernova zunächst implodiert und anschliessend explodiert, werden rund 1058 Neutrinos frei. Diese Neutrinos sind derart energiereich, dass sie bei einem Neon-Atomkern sogar ein Proton [1] oder ein Neutron [1] herausschlagen können; dabei werde Fluor erzeugt, so die Forscher. Andere Prozesse erzeugen viel weniger Fluor; damit kann die beobachtete hohe Konzentration von Fluor in den Sternatmosphären nicht erklärt werden.


Mögliche Widersprüche
Das neue Ergebnis widerspricht anderen Beobachtungen, bei denen eine wesentlich geringere Menge Fluor in einer geringeren Anzahl an Sternen beobachtet wurde. Demnach wäre Fluor in Sternen entstanden, die nicht in einer Supernova endeten, beispielsweise in Kernreaktionen, an denen Neutrinos nicht beteiligt sind. Dies geschieht beispielsweise in hellen Riesensternen, die in ihren Zentren sowohl Wasserstoff als auch Helium verbrennen. Am Ende ihrer Entwicklung stossen diese Riesen ihre äußeren Schichten ab und versorgen so ihre Umgebung - und die gesamte Galaxie [1] - mit Fluor.


Was nun? - Ist der Gehalt an Fluor in Sternen groß oder eher gering?

Die Antwort hängt möglicherweise von der korrekten Methode zur Bestimmung der Sterntemperatur[1] ab. Fluorwasserstoffmoleküle brechen erst bei hohen Temperaturen auf. Daher beobachtet man in heißeren Sternen weniger Fluor als in kühleren Exemplaren, selbst wenn die heißeren Sterne den gleichen Anteil an Fluor besitzen.

Zur Bestimmung der Häufigkeit von Fluor in einer Sternatmosphäre müssen die Astronomen die exakte Temperatur eines Sternes kennen. 

Zur Klärung des Widerspruches sollen ab dem Sommer dieses Jahres mithilfe des 4m-Kitt Peak-Teleskops [1] rund 100 Sterne beobachtet und deren genaue Temperatur sowie die Häufigkeit des Fluorwasserstoffs bestimmt werden.

Möglicherweise sind beide Erzeugungsmechanismen von Fluor in Sternen von Bedeutung. Dabei könnten die Supernova-Neutrinos möglicherweise für die Erzeugung von etwa der Hälfte bis zwei Drittel des Fluors auf der Erde verantwortlich sein.

Ein faszinierender Gedanke: Neutrinos, die kaum mit gewöhnlicher Materie wechselwirken erzeugen am Ende des Lebens eines massereichen Sternes ein Element, das wir zur Härtung unserer Zähne nutzen.

In diesem Fall können wir den kleinen Teilchen, die üblicherweise ständig durch uns hindurchfliegen dafür verantwortlich sein, dass wir weniger Zahnlücken haben.

 

Wenn Sie das nächste Mal Ihre Zähne putzen, denken Sie einmal an die Neutrinos der Supernovae, die in einer Entfernung von Milliarden von Lichtjahren [1] dafür sorgen, dass Ihre Zähne geschützt bleiben.

 

Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[2] Pilachowski, C. A., Pace, C., ApJ 150 (10 Aug. 2015)

 

 

 

 

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