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Hutzi Spechtler  
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Ein neues Elementarteilchen?  

Kurz nach dem Wiederhochfahren des LHC (Large Hadron Collider) [1] an der französisch-schweizerischen Grenze macht das aufwendige Upgrade des Teilchenbeschleunigers [1] ("Run 2") bereits von sich reden: die beiden Experimente CMS und ATLAS [1], die im Jahr 2012 das zuvor vorhergesagte Higgs-Teilchen (Higgs-Boson) [1] bestätigten, meldeten nun die Entdeckung eines möglichen neuen Elementarteilchens [1].

Am 15. Dezember wurde das vorläufige Weihnachtsgeschenk vorgestellt und sorgte bereits ab dem folgenden Tag für weltweites Aufsehen sowie die Veröffentlichung zahlreicher Fachartikel. Dabei lief der LHC nach dem Wiederanschalten nur wenige Monate, von Juni bis November. Derzeit ruht er erneut.

Die Detektoren CMS und ATLAS verzeichneten bei Proton-Proton-Kollisionen (p-p) [1] einen unerwarteten Überschuss von Gamma-Photonenpaaren (Diphotonen) [1]. Die Photonenpaare besitzen zusammengenommen eine Energie von rund 750 Gigaelektronenvolt (GeV) [1] (Abb. 1).

Einfach gesagt: beim Zusammenprall von Protonenpaaren entstehen hochenergetische Lichtteilchenpaare bei Energien, die bisher nicht bekannt

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Abb. 1 Schematische Darstellung von neu entstandenen Photonenpaaren (grün)
im Teilchenbeschleuniger LHC. Das Zentrum der Kollisionen liegt inmitten des gelben Bereiches. Die gelben Strichspuren bezeichnen den Weg der dabei entstehenden Teilchen. © CERN/CMS

 

Das neu entdeckte Signal könnte ein Anzeichen für die Existenz eines vermeintlich neuen Elementarteilchens sein; wahrscheinlich handelt es sich wie beim Higgs-Teilchen (Higgs) ebenfalls um ein Boson [1], jedoch muss das neue Teilchen dem Higgs nicht notwendigerweise gleichen.

Die Beobachtung der hochenergetischen Photonenpaare resultiert aus dem Zerfall der vermeintlich neuen Elementarteilchens nach der Kollision der Protonenpaare.

Falls sich die Ergebnisse erhärten, wäre das neue Teilchen rund 4 Mal massereicher als das schwerste Teilchen, das bisher entdeckt wurde, das
top-Quark [1] und etwa 6 Mal massiver als das Higgs. Diese Masse entspricht etwa der 700-fachen Protonenmasse [1].

Die Messungen
Die bei dem Experiment beobachteten Photonenüberschusse ist nicht besonders signifikant (Abb. 2): ATLAS entdeckte rund 40 Paare mehr
(3,6 σ (CL) [1]) als von dem Standardmodell der Teilchenphysik ("Standardmodell") [1] vorhergesagt. CMS entdeckte sogar nur 10 Paare mehr (2,6 σ (CL) [1]). Allerdings nutzte ATLAS 1,2-1,5 mal mehr Daten als CMS.

Dabei gibt das griechische Symbol Sigma (σ) an, wie unwahrscheinlich die Daten im Rahmen des Standardmodells sind. Je größer der Wert Sigma ist, desto unwahrscheinlicher ist das Ergebnis. Ein Wert von 2,6 σ (CL) bedeutet, dass bei der Durchführung von 100 gleichen Experimenten mit identischen Bedingungen die Messung im Mittel nur einmal von dem vorhergesagten Wert abweicht, wenn man das Standardmodell als Messlatte ansieht.

Bei 2,6 σ (CL) handelt es sich zwar noch um keine Entdeckung, aber bei der Wiederholung des Experimentes könnte es sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit um einen realen physikalischen Effekt handeln.

Die Signifikanz der Messungen liegt sogar höher als bei der Entdeckung des Higgs.

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Abb. 2 Schematische Darstellung der neu entstandenen Photonenpaare (grün)
im ATLAS-Detektor des Teilchenbeschleunigers LHC.
Die Darstellung entspricht der Anzahl von gemessenen Ereignissen (y-Achse) gegenüber der Photonenenergie in GeV (x-Achse). Nach dem Standardmodell sollten sämtliche Messpunkte auf der türkisfarbenen Kurve liegen. Die vertikalen Linien der Messpunkte (Kreise) entsprechen Messfehlern. Die untere Darstellung relativiert die Messung gegenüber Hintergrundereignissen. Die horizontale türkisfarbene Linie der unteren Darstellung entspricht keinem abweichenden Ereignis (0).
© CERN/CMS/ATLAS/yahw

 

Normalerweise hätten die Teams des jeweiligen Teilchendetektors am LHC aus dem Messergebnis keinen grossen Aufwand gemacht; das änderte sich jedoch, als man bemerkte, dass beide Detektoren ein ähnliches Ergebnis anzeigten (Abb. 2).

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Dieser kurze Textabschnitt geht physikalisch gesehen weiter in die Tiefe;
wem das zu kompliziert ist, bitte weiter unten weiterlesen.

Etwas Theorie zu den Messungen
Photonenpaare können am LHC auf unterschiedliche Art erzeugt werden, dabei folgt das entstehende Photonenspektrum ganz bestimmten Regeln. Jedoch ist jetzt bereits klar, dass das Standardmodell für die beobachteten Photonenüberschüsse - wenn sie real sind - nicht verantwortlich sein kann. Diese Aufgabe können jedoch statistische Fluktuationen [1] übernehmen - wonach es auf den ersten Blick allerdings nicht aussieht, insbesondere bei der ATLAS-Messung.

Signifikanz
Die lokale Signifikanz der ATLAS-Messungen beträgt 3,9 σ (CL), bei CMS 2,6 σ (CL) [3]. Eine naive Kombination beider Messungen ergäbe mehr als 4 σ (CL). Das wäre ein riesiger Effekt, jedoch traten ähnliche Effekte am LHC bereits auf und verschwanden danach ins Nirwana.

Konsistenz
Für die Diskussion eines vermeintlich neuen, realen Signals in den Detektoren ATLAS und CMS ist wichtig, ob man bereits im "Run 1" (R1) - vor dem Upgrade - des LHC ähnliche Signale gemessen hat. ATLAS und CMS haben tatsächlich während der ersten Meß-Saison bei der Kollision von Gluon-Paaren [1] bei einer Energie von 750 GeV einen Teilchenüberschuss von rund 1 σ gefunden, jedoch keinen deutlichen Anstieg wie bei den Ergebnissen, die im Dezember vorgestellt wurden.

Falls das neue 750 GeV-Teilchen durch die Kollision von Gluonen erzeugt wird, sollte sich der Teilchenüberschuss nach dem LHC-Upgrade auf höhere Kollisionsenergien etwa verfünffachen. Während des R1 wurden von ATLAS jedoch etwa 6 Mal mehr Daten gesammelt als im R2. Daher sollte der Überschuss in R2 rund 75 Prozent des Überschusses in R1 betragen. Da der Hintergrund jedoch weniger schnell anwächst als das Signal, sind die Ergebnisse von R1 und R2 irgendwie vergleichbar. Die reale Auswertung ist leider etwas trickreicher.

Jedoch kann man das niedrigere Signal der erzeugten Photonenpaare in R1 damit begründen, dass das 750 Gev-Signal wahrscheinlich das Produkt einer schwereren Resonanz [1] ist (höherer Wirkungsquerschnitt [1]). Diese Vermutung muss im nächsten Jahr überprüft werden.

Und die Erklärung?
Der einfache Teil: Eine Resonanz, die von Gluon-Gluon-Kollisionen erzeugt wird und dabei 2 Photonen erzeugt? Genau das hat man bei anderen Energien bereits gesehen - auf diese Art wurde das Higgs erstmals entdeckt.

Mithilfe des Standardmodells wäre die neue Resonanz in 1. Näherung durch einen neuen Singlet-Skalar [1] der Masse 750 GeV zu erklären, der an neue schwere vektorartige Quarks [1] gekoppelt ist, die eine Farbe (color) [1] und eine elektrische Ladung [1] besitzen.

Demnach sind - in Analogie zum Higgs -Quanteneffekte [1] für die effektive Kopplung des neuen Skalars an Gluonen und Photonen verantwortlich. Wählt man einen entsprechenden Wert für diese von verschiedenen Zustandsgrößen abhängige Kopplung aus, kann man den Diphotonen-Überschuss von ATLAS und CMS leicht erklären.

Das große Ganze
Allerdings ist die jetzige Situation im Vergleich zur Entdeckung des Higgs vor drei Jahren völlig anders. Zahlreiche Modelle neuer Physik propagieren die Kopplung von skalaren Teilchen (Skalaren) [1] an neue Quarks.

Die neuen Messungen könnten dabei auf ein Higgs-Partnerteilchen hinweisen, das bereits von Higgs-Modellen vorhergesagt wurde, alternativ auf ein sog. Dilaton [1], das durch die spontane konforme Symmetriebrechung [1] entsteht oder aber einen zusammengesetzten Zustand, der durch neue starke Wechselwirkungen entsteht, oder oder oder ...

Die Interpretationsmöglichkeiten sind vielfältig, jedoch unterliegen sie auch Herausforderungen. Beispielsweise muss eine korrekte Interpretation bzw. Modell der Ergebnisse erklären können, weshalb man die beiden Photonen bei diesen Teilchenenergien überhaupt beobachten kann und bei anderen nicht.

Möglicherweise handelt es sich bei den beobachteten Signalen sogar um einen kleinen Teil einer wesentlich größeren Struktur, die vielleicht im Zusammenhang mit der elektroschwachen Symmetriebrechung [1] und dem Hierarchie-Problem [1] des Standardmodells steht.

Falls das neue Signal real ist, könnte das der Beginn einer neuen goldenen Ära der Teilchenphysik einläuten.

Natürlich könnten überschüssige Photonenpaare beider Detektoren lediglich eine Koinzidenz darstellen. In der Teilchenphysik treten derartige statistische Überschüsse bzw. Schwankungen von Teilchen aufgrund der enormen Anzahl der Teilchenkollisionen manchmal auf, oder auch nicht. Normalerweise verschwinden diese Schwankungen im Laufe der Zeit, wenn mehr Daten gewonnen werden.

Falls es sich bei der Entdeckung jedoch um ein reales Elementarteilchen handelt, würde das das gesamte Teilchenspiel ändern: die Teilchenphysiker haben innerhalb der vergangenen Jahrzehnte immer wieder versucht, das Standardmodell zu verifizieren. Das Higgs stellte dabei das letzte gesuchte Puzzlestück dar. Ein noch schwereres Elementarteilchen würde innerhalb des Modells sozusagen eine neue Tür öffnen, auf eine neue Physik hindeuten und dem Higgs die Show stehlen.

Noch sind die Physiker sich nicht im Klaren, was sie aus den gewonnenen Daten machen sollen, vor allem da die Messungen erfolgten als die Wissenschaftler nach einem völlig anderen Teilchen suchten, dem Graviton [1].

Möglicherweise steht die Entdeckung im Zusammenhang mit der Theorie der Supersymmetrie [1], der vermeintlichen Erweiterung des Standardmodells. Allerdings konnte man die Existenz der Supersymmetrie bisher nicht nachweisen. Dabei war man bereits auf der Suche nach einem Teilchen der Supersymmetrie, dem Gluino [1]. Dessen Masse soll bei rund 1.600 GeV liegen, also wesentlich höher als bei der jetzigen vermeintlichen Entdeckung.

Die Physiker hoffen, dass die Existenz des gemessenen Photonenüberschusses nach dem Start des LHC im März entweder bestätigt oder ad acta gelegt werden kann. Entweder existiert ein neues Elementarteilchen oder es war alles bloss heisse Luft.

Die Suche nach dem vermeintlich neuen Elementarteilchen wird nach dem erneuten Wiederhochfahren des LHC sicherlich erste Priorität geniessen. Dann erwarten die Wissenschaftler rund 10 Mal mehr Daten als in diesem Jahr. Das sollte helfen, die Frage nach einem neuen Teilchen zu klären, so einer der Forscher, oder sogar weitere neue Teilchen zu Tage fördern. Wer weiss.

Wer jetzt kritisiert, es sei Zeitverschwendung, sich auf ein Ergebnis von 2,6 σ  zu konzentrieren, weil es bloss ein 2,6 σ-Effekt ist, dem antworten zahlreiche Wissenschaftler: besser an einem 2,6 σ-Experiment arbeiten als an einem mit einer Wahrscheinlichkeit von 0 σ.

Das LHC verspricht im nächsten Jahr bereits jetzt Interessantes. Wir dürfen zu recht gespannt sein.

 

Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[2] Artikel zur Entdeckung des Diphotonen-Überschusses am LHC
CERN-PH-TH/2015-302 (15 Dec 2015)
CMS-PAS-EXO-15-004
Nature (15 Dec 2015)

 

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