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Hutzi Spechtler  
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Der neolithische Blick in den Himmel

Bei der Nennung von Begriffen wie "Archäoastronomie" oder "Kreisgrabenanlage" denken wir in Bezug auf Deutschland vor allem an das Sonnenobservatorium in Goseck [1] oder den Fund der Himmelsscheibe von Nebra" [1] in den neuen Bundesländern - im Gegensatz zu den sog. Steinkreisanlagen (Megalithe) [1] in Stonehenge (Großbritannien) [1] oder Carnac (Frankreich) [1].

Bei diesen kreisförmigen Grabenwerken handelt es sich um Anlagen unterschiedlicher Form und Größe, die neben V-förmigen Gräben oftmals mit Palisaden oder Wällen als Abgrenzung (nach außen) existierten.

Der maximale Durchmesser der (typischen) Kreisgrabenanlagen beträgt zwischen 30-240 Meter. Besteht die Anlage aus mehreren ineinander liegenden Ringen, variieren die Abstände zwischen den Ringen von 1,5-14 Metern.

Inzwischen kennen die Forscher Hunderte derartiger Kreisgrabenanlagen
in Mitteleuropa (Abb. 1):

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Abb. 1 Verteilung der gesicherten mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen
in Mitteleuropa im Zeitraum 4850-4000 v.Chr.
© astrosim.univie.ac.at

 

  • In der Slowakei existierten rund 50 derartige neolithische Bauwerke [1], die man mithilfe von Luftbildaufnahmen gefunden hat. Die größten der neolithischen Anlagen mit Durchmessern von Hundert Metern sind Svodín 2, Demandice, Bajtava, Horné Otrokovce, Podhorany-Mechenice, Cífer, Golianovo (210 m), Žitavce, Hosťovce (250–300 m) und Prašník;
  • in Ungarn liegen sie in Aszód, Polgár-Csőszhalom, Sé, Vokány und Szemely-Hegyes;
  • in der Tschechischen Republik existieren 24 (Stand 2011) bekannte Anlagen wie Běhařovice, Borkovany, Bulhary, Krpy, Křepice, Mašovice, Němčičky, Rašovice, Těšetice und Vedrovice;
  • in Polen kennt man die Anlagen Biskupin und Rąpice;
  • In Österreich existieren überraschend viele dieser Anlagen:

Von den bisher bekannten mittelneolithischen Kreisgrabenanlagen Mitteleuropas befindet sich fast die Hälfte in Österreich. Dies liegt auch an der intensiven Untersuchung und Auswertung von Luftbildern (sog. Luftbildprospektion [1]), die in Österreich stark voran getrieben wird. 47 der bekannten Kreisgrabenanlagen besitzen Durchmesser zwischen 40-180 Meter.
Beispiele hierfür sind Asparn an der Zaya, Altruppersdorf, Altruppersdorf, Au am Leithagebirge, Friebritz, Gauderndorf, Glaubendorf, Gnadendorf, Göllersdorf, Herzogbirbaum, Hornsburg, Immendorf, Kamegg, Karnabrunn, Kleedorf, Kleinrötz, Michelstetten, Moosbierbaum, Mühlbach am Manhartsberg, Oberthern, Perchtoldsdorf, Plank am Kamp, Porrau, Pottenbrunn, Pranhartsberg, Puch, Rosenburg, Schletz, Simonsfeld, Statzendorf, Steinabrunn, Stiefern, Straß im Straßertale, Strögen, Velm, Wetzleinsdorf, Wilhelmsdorf, Winden, Würnitz und Ölkam;

Im Gebiet um Wien fand man etwa 40 Kreisgrabenanlagen, die im Zeitraum 4800-4500 v.Chr. entstanden und damit zu den ältesten Monumentalbauwerken Mitteleuropas zählen.

  • In Deutschland zählt man inzwischen folgenden Anlagen:

Nordrhein-Westfalen:Bochum-Harpen, Warburg-Daseburg (Miniaturkreisgraben) - Franken:Hopferstadt (dreifache Anlage), Ippesheim (4900-4800 v.Chr.) - Bayern: Eching-Viecht, Irlbach, Künzing, Unterberg, Landau a.d.Isar, Oberpöring-Gneiding, Osterhofen-Schmiedorf,  Stephansposching, Wallerfing-Ramsdorf, Zeholfing-Kothingeichendorf, Moosburg a.d.Isar - Mecklenburg-Vorpommern: Wollschow (dreifach) - Brandenburg: Bochow, Nauen, Dyrotz (dreifach) - Sachsen: Dresden-Nickern (3 Anlagen), Exthra (dreifach), Neukyhna (3 Anlagen), Goseck, Kötschitz, Quedlinburg, Schalkenburg (fünffach), Belleben, Pömmelte (5 Ringe), Schönebeck und Pömmelte.

In Kyhna wird die neolithische Kreisgrabenanlage auf 5500-2300 v.Chr. datiert; sie besteht aus vier Ringen und besitzt einen Durchmesser von 137 Meter. Zum Vergleich entstand Stonehenge etwa 3000 v.Chr. und weist einen Durchmesser von rund 104 Metern auf.

In Dresden-Nickern entstanden die vier Kreisgrabenanlagen wahrscheinlich im Zeitraum 5500-4500 v.Chr. und besitzen Durchmesser von 50, 80, 126 und 140 Metern.

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Abb. 2 Beispiel einer Luftbildaufnahme einer Kreisgrabenanlage,
hier in Khyna/Sachsen.© Landesamt für Archäologie Sachsen

Viele der Kreisgrabenanlagen können mithilfe von sog. Magnetfeldmessungen [1] rekonstruiert werden (Abb. 3):

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Abb. 3 Virtuelle Rekonstruktion der Kreisgrabenanlage in Dresden-Nickern
mit Ausmaßen wie der Dresdner Zwinger [1].
© Landesamt für Archäologie Sachsen, Stäuble, Preuss

 

Drei der Anlagen weisen drei Tore auf (Quenstedt, Goseck und Weißenfels/Quedlinburg), die sternförmig angeordnet sind. Wahrscheinlich wurden die Rondelle zu kultischen Zwecken genutzt. Bei den genannten Rondellen konnten die Achsen der Tore Bezüge zu den Sonnenauf- und Sonnenuntergängen zur Sommer- oder Wintersonnenwende für die jeweiligen Orte herstellen.

Inzwischen kennt man ähnliche kreisförmige Anlagen, meist aus einer Ansammlung von Steinen, auch außerhalb von Zentraleuropa, beispielsweise

  • in der Türkei wie in Göbekli Tepe

         Diese Anlage wird auf etwa 7000 v.Chr. datiert; sie besteht aus vier Steinkreisen mit Durchmessern von 10-20 Metern und ist seit dem Jahr 1994 bekannt. Inzwischen konnten in der Region weitere 7 kreisförmige Anlagen verifiziert werden. Die Säulen sind bis zu 7 Meter hoch und wiegen jeweils rund 50 Tonnen. Die deutschen Archäologen schätzen, dass sie weitere etwa 14 dieser Anlagen finden, die bis zu 14.000 Jahre alt sind und zusammen ein ehemaliges astronomisches (?) Zentrum darstellten; und

  • in Jordanien und in Syrien (Abb. 4). Die Anlage in Syrien besitzt nach einer Expertenmeinung eine eindeutige astronomische Bedeutung bzw. diente diesem Zweck [9].

Bisher kennt man im Mittleren Osten insgesamt 11 derartige kreisförmige Anlagen, die ein Alter von mindestens 2.000 Jahren besitzen. Der Zweck dieser Anlagen ist unklar, da die meisten beschädigt oder zerstört wurden. Manche kreisförmige Anlagen besitzen keinerlei Eingang.

In den Jahren 2013 und 2014 wurden in Saudi-Arabien nasca-artige Linien und Steinkreise entdeckt. Die Lage dieser Anlagen in Flußnähe ist wahrscheinlich, auch wenn die meisten Flüsse inzwischen ausgetrocknet oder sog. Wadis [1] an ihre Stelle getreten sind. Innerhalb der letzten 4.500 Jahre wurden zahlreiche dieser antiken Strukturen zudem durch Vulkanausbrüche zerstört. Die gefundenen Ringstrukturen bestehen aus Steinwänden mit einer Dicke von 30-60 cm und besitzen Durchmesser zwischen 5-100 Metern.

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Abb. 4 Die kreisförmige Anlage J1 in Jordanien.
Ihr Durchmesser beträgt rund 390 Meter.
© D.L. Kennedy/APAAME

 

Lage der Anlagen
Zur Errichtung der meisten Anlagen war ein bestimmtes mathematisches oder sogar astronomisches Wissen eine entscheidende Voraussetzung. Die Kreisgrabenanlagen wurden nur in der Nähe von Siedlungen errichtet.
Bei der Lage der Kreisgrabenanlagen fällt vor allem ihre Nähe zu Flüssen auf.

Der Zweck der Anlagen
Der Zweck der Kreisgrabenanlagen ist weiter unklar und teilweise umstritten.
Fest steht, dass die damalige Besiedelung mit einem festen Standort der Bewohner die (kontinuierliche) Beobachtung des Sternenhimmels ermöglichte und damit das Entdecken einer zyklischen Ordnung, die dem (irdischen) Werden und Vergehen entspricht [7]. Insofern spiegeln die Kreisgrabenanlagen auf der einen Seite das Erkennen und Verstehen der Himmelsgesetze und auf der anderen die Ordnung des Lebens in bestimmten Zyklen wider. Die frühen Bauern waren auf das Erkennen dieser Ordnung angewiesen, wenn sie überleben wollten, beispielsweise im Hinblick auf die Aussaat und eine erfolgreiche Ernte.

Man kann sich vorstellen, dass hierdurch Kultorte entstanden, die vom Leben und diesen Zyklen berichten. Ein Bespiel für eine grundsätzlich astronomisch orientierte Kreisgrabenanlage ist die in Goseck (Sachsen).

Möglicherweise handelte es sich bei den Anlagen um Heiligtümer zur Durchführung ritueller Handlungen, da die Anlagen meist aus mehreren konzentrischen Ringen bestanden, die den Bereich von der Umgebung sozusagen "abriegelten". Der Sichtschutz aus Wällen oder Palisaden könnte zum Schutz des Inneren bzw. der dort stattfindenden Handlungen errichtet worden sein.

Einige der Anlagen wurden sicherlich für besondere, auch rituelle Zwecke, genutzt. Beispielsweise könnten im Inneren Feste zu bestimmten Zeitpunkten des Jahres abgehalten worden sein. Einige Anlagen weisen Tore bzw. Durchgänge auf, deren Orientierung mit dem jahreszeitlichen Sonnenlauf (Auf- und Untergang) in Verbindung gebracht werden muß.

Einige der Richtungen können jedoch von der Sonne am Horizont niemals erreicht werden. Zur Erklärung suchen die Wissenschaftler beispielsweise Sterne, die in diesem Zeitraum für die Menschen von Bedeutung gewesen sein konnten [6], beispielsweise der Aufgangspunkt des Siebengestirns [1] (Pleiaden), das unter anderem in der frühen asiatischen Kultur von großer Bedeutung war, oder der Untergangspunkt des hellen rötlichen Sternes Antares (α Sco, Sternbild Skorpion) [1] oder Stellungen der Sterne Rigel (α Ori, Sternbild Orion) [1] und Deneb (α Cyg, Sternbild Schwan) [1].

Dem sog. heliakischen Aufgang [1] der Pleiaden wird auch in anderen Kulturen eine besondere Bedeutung beigemessen: dabei handelt es sich um das erste Wiederauftauchen des Siebengestirnes in der Morgendämmerung (Osthimmel), nachdem es zuvor in zu großer Sonnennähe stand und damit (mit damaligen Mitteln) nicht beobachtbar war. Der heliakische Aufgang dieses Sternhaufens fällt etwa mit dem Frühlingsbeginn zusammen. Fast zeitgleich ereignete sich am Westhimmel der Untergang des hellen rötlichen Sternes Antares.

Funde wie Tierknochen könnten auf Festmahle hinweisen oder rituelle Handlungen (Knochen mit Schnittspuren, Weihegaben oder Deponierung von Gegenständen kultischer und zeremonieller Ereignisse?), wobei Tierkiefer oder -schädel gehäuft auftreten (Speise- und Trankopfer?). Dagegen findet man in den ausgehobenen Gräben eher Tierknochen, Beile, Mahlsteine und Keramik.

Daher gehen einige Forscher von einer Multifunktionalität der Anlagen aus.

In diesem Sinne könnte es sich bei Kreisgrabenanlagen um rituelle Orte handeln, die im Sinn von Heiligtümern zu interpretieren sind.
Unbestritten ist dagegen wahrscheinlich, daß die Errichtung und Nutzung dieser Monumente bereits als Ausdruck einer lokalen Gruppenidentität zu deuten ist.

 

Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über Objekte des Sonnensystems und astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[2]  Xu, Y., Newberg, H. J., et al., ApJ 801 (2015)

[3] Mehr Information über das Rensselaer Polytechnische Institut (RPI)
http://news.rpi.edu

[4] Spekkens, K., et al., ApJ 795 (2014)

[5] Williams, M.E.K., Steinmetz, M., et al., ApJ 728 (2011)

[6] Zotti, G., APA 40 (2008)

[7] Mahlstedt, I., Workshop Universität Halle (2004)

[8] Gibson, A., British Archaeological Reports International Series 2440, Archaeopress, Oxford(2012)

[9] Sparavigna, A.C., Stone circles on the harraat of Syrian desert (2012)

[10] Meyer, M., Raetsel-Fabian, D., Atlas zum Neolithikum Mitteleuropas (2006)

 

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