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Hutzi Spechtler  
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Der Grosse Attraktor und 833 versteckte Galaxien

Haben Sie schon einmal in einer klaren Nacht an den Himmel geschaut und Tausende von Sternen entdeckt? Diese Sterne befinden sich allesamt in unserer galaktischen Heimat, der Milchstrasse [1] bzw. der Galaxis [1].

Wenn Sie sich bei diesem überwältigenden Anblick klein und relativ unwichtig vorkamen, haben Sie recht. Dort draussen gibt es tatsächlich viel mehr als wir bisher dachten, das besagt eine neue Veröffentlichung.

Rückblick
Beginnen wir im Jahr 2014: im vorletzten Jahr haben Astronomen herausgefunden, dass die Milchstrasse Teil eines neu gefundenen enormen Supergalaxienhaufens [1] namens Laniakea [1, 5] ist. Laniakea besitzt einen Durchmesser von rund 500 Millionen Lichtjahren [1] und eine Masse von
100 Millionen Milliarden Sonnen; sie verteilt sich auf rund 100.000 Galaxien.
Die Milchstrasse befindet sich in den Aussenbezirken des Laniakea-Superhaufens.

Der Superhaufen selbst teilt sich in vier Untergruppen:

(1) den Virgo-Supergalaxienhaufen [1] mit mehr als 100 Galaxiengruppen; dort befindet sich die Milchstrasse,
(2) den Hydra-Centaurus-Superhaufen [1], dem nächsten Nachbarn des Virgo-Superhaufens; dort befindet sich der riesige Norma-Galaxienhaufen [1], in dessen Nähe sich der sog. Grosse Attraktor [1] befindet,
(3) den Pavo-Indus-Superhaufen [1] und
(4) den Fornax-Superhaufen [1].

Nun hat ein Team internationaler Astronomen [1, 4] mithilfe des 64m-Parkes-Radioteleskops [1] in Australien Hunderte neuer, bisher unentdeckte Galaxien [1] gefunden; jede dieser Galaxien besteht aus Milliarden von Sternen.

Das Verrückte: diese Galaxien befinden sich sozusagen direkt vor unserer Haustür, in der mysteriösen Zone of Avoidance ("Zone der Vermeidung")* [1].

Die Zone of Avoidance und der Grosse Attraktor
Die Zone of Avoidance wirkt wie die eine Art "geschlossene Tür" oder "Schranke", die alles verbirgt, was sich dahinter befindet (Abb. 1). Selbst mit grossen optischen Teleskopen wird der Blick durch in dieser Richtung liegende Gas- und Staubwolken [1] nach aussen versperrt. Selbst grosse Himmelsdurchmusterungen (beispielsweise im Infrarotbereich [1]) können diesen Bereich nicht erfassen und zeigen in dieser Richtung eine "Lücke".

Nicht sehr weit von uns entfernt und in dieser Himmelsrichtung existiert ein merkwürdiger Ort am Himmel, der versucht alles "an sich zu reissen": der
Grosse Attraktor. Er wirkt sozusagen wie ein überdimensionaler Magnet und zieht alles in seiner Nähe an (,wenn Galaxien magnetisch wären).

Die Zone of Avoidance verdeckt unseren Blick auf den Grossen Attraktor. Möglicherweise handelt es sich bei dem Grossen Attraktor um einen entfernten Supergalaxienhaufen [1] im Sternbild Winkelmaß (Norma) [1] (Abb. 1).

Der Grosse Attraktor ist wahrscheinlich die grösste Masseansammlung

im gesamten Universum. Die Struktur vereint möglicherweise rund 16 Billiarden Sonnenmassen [1]. Im Vergleich ist die Milchstraße ein "Leichtgewicht": sie enthält nur rund 200 Milliarden Sonnenmassen.

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Abb. 1 Projektion von Galaxien rund um den Grossen Attraktor (Bildmitte).
Die Zone of Avoidance ist rot markiert; sie verdeckt ein realtiv grosses Himmelsgebiet und verhindert einen direkten Blick auf den Grossen Attraktor. Daher findet man in der roten Zone fast keine Galaxien oder andere Objekte, die sich dahinter befinden. Links davon befindet sich das Zentrum der Milchstrasse, das sog. Galaktische Zentrum (Gal. Centre) [1]. Dort verhindert Gas- und Staubwolken den Blick in dahinter liegende Bereiche, das Gebiet ist weiss. Jeder blaue Punkt entspricht einer einzelnen Galaxie. © UGC, MCG

 

Der Grosse Attraktor ist wahrscheinlich rund 250 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Das ist nicht sehr weit - wenn man bedenkt, dass die entferntesten Objekte des Universums rund 13 Milliarden Lichtjahren von uns weg sind. Die Entfernung der Milchstrasse zur nächsten grossen Galaxie beträgt läppische 2,5 Millionen Lichtjahre.

Unser Blick auf die exotische Struktur des Grossen Attraktors wird dadurch erschwert, dass sich unser Sonnensystem inmitten eines Spiralarms [1] der Milchstrasse befindet, der Unmengen Gas und Staub enthält. Zur Beobachtung des Grossen Attraktors müssen wir durch die (gesamte) Ebene der Milchstrasse [1] schauen: dort befindet sich ebenfalls jede Menge Gas und Staub, was die Beobachtung erheblich erschwert.

Unser Blick in diese Richtung des Universums ist getrübt: wir können den Grossen Attraktor nicht direkt beobachten. (Abb. 1, 2)

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Abb. 2 Schematische Darstellung der Milchstrasse, der Zone of Avoidance
und des Grossen Attraktors.
Jeder Punkt entspricht einer Galaxie. Die Verbindungslinien markieren die Richtung der Bewegung einer Galaxie in Richtung eines (grossen) Objektes. Beispielsweise bewegt sich die Milchstrasse (gelber Pfeil) in Richtung des Virgo-Galaxienhaufens (oberhalb) UND des Grossen Attraktors (roter Pfeil). Die Zone of Avoidance (pinkfarbener Pfeil) befindet sich sozusagen zwischen uns und dem Grossen Attraktor. Die Milchstrasse bewegt sich zwar in Richtung des Virgo-Haufens, jedoch auch in Richtung des Grossen Attraktors. © Tully et al. (2014/Zhang et al./yahw

 

Der Grosse Attraktor "zerrt" an der Milchstrasse und ihrer Umgebung, auch an der uns benachbarten Spiralgalaxie [1], der Andromedagalaxie (M31) im Sternbild Andromeda (And) [1]. Nicht nur diese beiden Galaxien, sondern zahlreiche andere Sternsysteme bewegen sich wie unter Zwang in die Richtung des Grossen Attraktors (Abb. 2).

Die Bewegungen dieser Galaxien sprechen dafür, dass sich am Ort des Grossen Attraktors (oder in dessen unmittelbarer Nähe) entweder unglaublich viel Masse befindet, die für diese Anziehung verantwortlich ist, oder etwas Merkwürdiges, von dem wir bisher keine Vorstellung haben.

Inzwischen wissen wir, dass sich der Norma-Supergalaxienhaufen (ACO 3627, Abell 3627) [1] genau in dieser Richtung befindet (Abb. 3). Er enthält Tausende Galaxien, von denen sich zahlreiche auf einem gegenseitigen Kollisionskurs befinden.

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Abb. 3 Schematische Darstellung der Supergalaxienhaufen in der Nähe der Milchstrasse.
Die Milchstrasse sowie die ihr benachbarten Galaxien befinden sich in der Nähe des Virgo-Haufens (Bildmitte). Dieser ist u.a. von den Supergalaxienhaufen Pavo-Indus, Norma und Shapley umgeben. Der Norma-Superhaufen befindet sich in der Richtung des Grossen Attraktors, der scheinbar alle Galaxien in seiner Umgebung an sich zieht. © Tully et al. (2014)

 

Jedoch reicht die Masse des Norma-Superhaufens nicht aus, um die gesamte Bewegung der betroffenen Galaxien zu erklären. Selbst der Grosse Attraktor scheint sie nicht erklären zu können. Und richtig: der Grosse Attraktor bewegt sich ebenfalls und zwar in die Richtung einer noch grösseren Struktur, dem Shapley-Supergalaxienhaufen [1]. (Abb. 3, 4)

Der Shapley-Superhaufen enthält mehr als 8.000 Galaxien und besitzt eine Masse von mehr als 10 Millionen Milliarden Sonnenmassen. Das bedeutet, jede Galaxie in unserer Nähe bewegt sich in diese Richtung. (Abb. 4)

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Abb. 4 Schematische Darstellung der Lage und der Bewegung der Milchstrasse (Milky Way, rotes Kreuz) in Richtung des Grossen Attraktors und des Shapley-Superhaufens. Die Pfeile sind ein Maß für die Geschwindigkeit in Richtung des betroffenen Objektes. © NASA/JPL

 

Neue Beobachtungen
Mithilfe von Radiowellen [1] ist es dennoch möglich, Gebiete und Objekte, die sich hinter der Milchstrasse befinden, aufzuspüren (Abb. 5). Radiowellen werden von Staub und Gas nur in sehr geringem Maße beeinflusst. Das Team internationaler Astronomen nutzte für ihre Beobachtungen ein australisches Radioteleskop mit einem Durchmesser von 64 Metern.

Das Radioteleskop kann Strahlung des (neutralen) Wasserstoffs (HI) [1] bei einer Wellenlänge [1] von 21 Zentimetern aufspüren (Wasserstoff ist der Grundbaustein im Universum, er kommt auch in Galaxien vor). Und nicht nur das: mithilfe der Radiobeobachtung kann ebenfalls die Position, die Bewegung und die Masse des beobachteten Wasserstoffs (bzw. der dazugehörigen Galaxie) bestimmt werden.

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Abb. 5 Künstlerische Darstellung von Radiowellen (rot, radio waves) entfernter "versteckter" Galaxien (hidden galaxies) auf dem Weg zur Milchstrasse bzw. zur Erde. Die versteckten Galaxien können zwar im optischen Bereich aufgrund der dazwischen liegenden Materie nicht beobachtet werden, jedoch verraten sie sich durch ihre Radiostrahlung. Diese Radiowellen wurden mithilfe des Parkes-Teleskops beobachtet. © ICRAR

 

Mithilfe eines neuen, innovativen Detektors konnten die Astronomen den Himmel 13 mal schneller vermessen als üblich; dabei fanden sie
883 Galaxien, die sich sozusagen hinter der Milchstrasse "verstecken"
(Abb. 6).

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Abb. 6 Darstellung der neu entdeckten Galaxien in Richtung der Zone of Avoidance. Jeder Punkt entspricht einer Galaxie: bei den gelben Punkten handelt es sich um bereits bekannte Objekte, bei den blauen und pinkfarbenen um mithilfe ihrer Radiostrahlung neu entdeckte Galaxien. Insgesamt wurden rund 300 neue Galaxien in dieser Richtung entdeckt. © ICRAR

 

Unter den neuen Objekten befinden sich 688 (78 Prozent) bekannte Galaxien und rund ein Drittel von Objekten, die man zuvor nicht kannte [4]
(Abb. 7). Die Entfernung dieser Objekte beträgt rund 250 Millionen Lichtjahre.

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Abb. 7 Himmelsabschnitt der neu entdeckten Galaxien.
Bei den neu entdeckten Galaxien handelt es sich um die Objekte NW1-3 (orange),
eine weitere Wandstruktur (orange) sowie die Galaxienhaufen CW1-2 (türkis).
Jeder Punkt entspricht einer Galaxie. Die äussere Achse gibt die Himmelsrichtung an, die seitliche die Geschwindigkeit der betreffenden Galaxien.
© [4]

 

Die Radiobeobachtungen enthüllen einige neue Strukturen, die zum Verständnis der Bewegung der Milchstrasse in Richtung des Grossen Attraktors beitragen könnten, darunter die Galaxienkonzentrationen NW1, NW2 und NW3 [1] sowie zwei neue Galaxienhaufen namens CW1 und CW2 [1]. (Abb. 7) Die neuen Objekte befinden sich in zwei Bereichen am Himmel:

Bereich der Norma-Wand: NW1-3
Die Galaxienkonzentrationen NW1-3 befinden sich zwischen dem Grossen Attraktor, dem Norma-Galaxienhaufen [1] und dem Galaxienhaufen
J1324.7-5736 [1]. Der kleine Galaxienhaufen NW3 wurde erstmals in der Norma-Wand identifiziert und befindet sich tief in der Zone of Avoidance. Weiter oberhalb befinden sich NW2 und NW1 ebenfalls in der Norma-Wand. Dabei könnte es sich um Galaxiengruppen oder kleine Galaxienhaufen handeln. Zwischen diesen beiden neuen Objekten befindet sich ein kurzer sog. Finger Gottes ** (part of CIZA).

Bereich Centaurus-Wand: CW1 und CW2
Die beiden neuen Galaxienhaufen CW1-2 befinden sich in der Nähe der Centaurus-Wand [1]. In der Nähe von CW2 befindet sich ebenfalls ein kleiner Finger Gottes. Die Galaxien von CW1 befinden sich vor der Wand des Grossen Attraktors und bilden einen Teil der Centaurus-Wand, einer schmalen Wand in Richtung des Centaurus-Galaxienhaufens.

Eine Reise ins Nirwana?

Bisher versteht man die Anziehung der Milchstraße in Richtung des Grossen Attraktors - oder in dessen grobe Richtung - noch nicht. In dieser Region kennen wir einige grosse Ansammlungen von Galaxien, die Superhaufen.

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Abb. 8 Schematische 3-dimensionale Darstellung der Lage der Milchstrasse, der
Zone of Avoidance und des Grossen Attraktors. Die farbigen Bereiche weisen auf die Anwesenheit von Materie. Punkte entsprechen Galaxien. Die Linien deuten auf die Bewegung eines Objektes in Richtung eines anderen. Dabei sind die Pfeile ein Maß für die Geschwindigkeit. Die Milchstrasse bewegt sich in die Richtung des Virgo-Galaxienhaufens (rechts der Bildmitte) UND des Grossen Attraktors (roter Bereich, links der Bildmitte). © Tully et al. (2014)/Zhang et al.

 

Die Milchstrasse bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 2 Millionen Kilometern pro Stunde in die Richtung des Grossen Attraktors (Abb. 8).
Aber keine Angst: wir erreichen diese riesige Masseansammlung erst in etwa 1.350.028.853.551 Jahren.

 

Danke für den Hinweis, Frank :)

 

Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

* Anmerkung: Wir benutzen lieber die englische Bezeichnung, die wörtliche deutsche Übersetzung finden wir eher irreführend.

** Die Entfernung von astronomischen Objekten in grossen Entfernungen wird mithilfe des Dopplereffektes [1] ermittelt und als Rotverschiebung [1] bezeichnet. Benutzt man diese Rotverschiebung zur Bestimmung einer Entfernung in Richtung grosser Galaxienhaufen, beobachtet man längliche Strukturen entlang des Sehstrahls (zwischen der Erde bzw. der Milchstrasse und dem beobachteten Objekt), die sich in der gleichen physikalischen Entfernung von uns befinden. Diese länglichen Strukturen gleicher Rotverschiebung werden als Finger Gottes bezeichnet. In diesem Sinne handelt es sich bei der Abbildung 7 um eine 3-dimensionale Darstellung.

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[2] http://www.icrar.org

[3] Animation zur Erklärung der versteckten Galaxien
http://www.dropbox.com/s/do21duwbv3cgf5l/Hidden%20galaxies%20Animation
%20No%20Labels-HD%201080p.mov?dl=0

Die Animation zeigt den Ort der Galaxien in der Zone of Avoidance. Im Optischen bleibt diese Zone verborgen, da Gas und Staub die Sicht auf die Objekte verdecken. Mithilfe der Beobachtung im Radiobereich können wir Strahlung aus diesem Bereich empfangen. (copyright: ICRAR)

und ihrer Positionen
https://www.dropbox.com/s/ab70jti9jo73pa9/Hidden%20Galaxies
%20Data%20Movie.mov?dl=0

[4] Staveley-Smith, L., et al., (09 Feb 2016)

[5] http://ig-hutzi-spechtler.eu/aktuelles__laniakea.html

 

 

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