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Hutzi Spechtler  
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Der Babylonische Jupiter

Wenn wir heute an den Himmel blicken, Zeit und Winkel messen, führt uns dies zwangsläufig zur Astronomie der Babylonier [1]: die babylonische Astronomie entwickelte sich aufgrund von fest geregelten Himmelsbeobachtungen sowie einer Technik für das Messen von Zeit und Abständen am Firmament. Allerdings existieren bisher keine Beweise, dass beispielsweise Tempeltürme als Beobachtungsplätze genutzt wurden [2].

Durch die stetige Beschäftigung mit dem Sternenhimmel und dessen Beobachtung entstanden die Einteilung des Himmelskreises in 360 Winkelgrad oder die der Zeit in Sekunden und Minuten nach der babylonischen Sexagesimalrechnung [1], die auf der Zahl 60 basiert. Zur Messung der Zeit nutzten die Babylonier den Gnomon [1] zur Messung der Schattenlänge und/oder die Klepsydra [1], eine Wasseruhr. [2]

Welche Objekte wurden beobachtet?
Bereits vor etwa 5.000 Jahren benutzten die Babylonier [1] in Mesopotamien [1], dem heutigen Irak, einen Mondkalender [1], sie kannten die 5 hellen Planeten, verfassten Tafeln mit Sternzeichen [1], einen Vorläufer des Tierkreises [1] und nutzen einen Schaltzyklus zur Angleichung des Sonnen- gegenüber dem Mondzyklus [1].

Die grösste Aufmerksamkeit am Himmel galt dem Mond, den 5 hellen Planeten, Finsternissen [1], Kometen [1] sowie dem Wetter.

Die Babylonier entdeckten, dass manche Vorgänge am Himmel periodisch ablaufen und nutzten diese zur Vorhersage von Himmelsereignissen. Dazu suchten sie nach Gesetzmässigkeiten der Bewegungen und nutzten ihre geometrischen Erkenntnisse. Die astronomischen Vorhersagen wurden in Almanachen [1] festgehalten.

Die Position eines Planeten wurde durch Abstände zum nächsten Stern ausgedrückt, gemessen in Ellen [1] senkrecht und waagerecht zur Ekliptik [1]. Dabei entspricht eine Elle etwa 2,3 Winkelgrad. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. diente der Tierkreis als Koordinatensystem [1].

Der Planet Jupiter
Der Planet Jupiter [1] trug den babylonischen Namen Marduk [1]. Für die Babylonier war Jupiter "der größte aller Sterne". Ihm galt besondere Beachtung.

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Abb. 1 Darstellung des babylonischen Hauptgottes Marduk.
Der Gott Marduk ist ein Synonym des Planeten Jupiter.
© AS400 DB/CORBIS

 

Die Vorhersage der Bewegung des Planeten Jupiter ist nicht trivial: für einen irdischen Beobachter bewegt sich der Planet am Himmel scheinbar unterschiedlich schnell (Abb. 2, links). Diese merkwürdige Bewegung des hellen Planeten muss den Babyloniern aufgefallen sein; daher entwickelten sie eine Methode, um die Bewegung des Jupiters vorhersagen zu können.

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Abb. 2 Schematische Darstellung der Bewegung des Planeten Jupiter gegenüber der Erde und der Berechnung der Jupiterposition.
Links: Der Jupiter befindet sich auf seiner Bahn weit ausserhalb der Erde und benötigt für einen Umlauf um die Sonne mehr Zeit als unser Planet. Dadurch scheint sich seine Position am Himmel während der Beobachtung über viele Monate bzw. Jahre zu verändern; gelegentlich scheint sich Jupiter sogar rückwärts am Himmel zu bewegen. Rechts: Die Berechnung der Jupiterposition erfolgte mithilfe von Trapezflächen. Dabei wird der Abstand, den der Planet beispielsweise innerhalb von 60 Tagen am Himmel zurücklegt, als Trapezfläche dargestellt. Die aufgezeichneten Beobachtungen ergaben während dieses Zeitintervalls eine Abnahme der Geschwindigkeit des Jupiters am Himmel: die Kurve besitzt die Form eines Trapezes. Zur Berechnung des Zeitpunktes, bis zu dem der Planet die Hälfte der Strecke am Himmel zurücklegt, wird das Trapez in kleinere Trapeze mit gleicher Fläche unterteilt. Auf diese Art und Weise konnten die Babylonier ausrechnen, dass Jupiter die gesuchte Position in rund 28 Tagen erreicht. © Ossendrijver/TSP

 

Wir kennen die Beziehung zwischen der Geschwindigkeit, der Position und der Zeit, wenn wir mit dem Auto reisen und messen sie üblicherweise in Stundenkilometern. Oftmals geben wir sogar Entfernungen mithilfe einer Zeiteinheit an, beispielsweise "es ist nur eine Stunde entfernt".

Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die Babylonier bei ihrer Himmelsbeobachtungen mit der Verbindung zwischen der Zeit und der Entfernung von Objekten am Himmel beschäftigt haben.

Die neue Entdeckung
Der Astrophysiker Matieu Ossendrijver [1] untersucht seit dem Jahr 2005 die Arbeitsweise babylonischer Astronomen [2]. Im Jahr 2012 veröffentlichte er ein Buch mit neuen Übersetzungen babylonischer Tontafeln, die astronomische Berechnungen und Tafeln enthalten. Im Rahmen seiner Arbeit mit der babylonischen Astronomie hielt sich Ossendrijver während der letzten 14 Jahre jährlich eine Woche in London auf. Dort befinden sich vier rund 2.300 Jahre alte Tontafeln des Britischen Museums [1], die Aufzeichnungen über die Berechnungen von Trapezflächen enthalten.

Eine fünfte Tafel enthält Winkelangaben: diese etwa 3x5 Zentimeter grosse unkatalogisierte Tontafel wurde Ossendrijver Ende letzten Jahres zugänglich gemacht. Bei seiner Untersuchung und dem Vergleich mit den anderen Tafeln fand er den Text (Abb. 3, links)

"Am Tag des Aufscheinens: 0;12, bis 1,0 Tage, 0;9,30.
0;12 und 0;9,30 ist 0;21,30 ..."

und erkannte die Zugehörigkeit zu den Tafeln mit den Trapezberechnungen der anderen vier Tafeln und dem Planeten Jupiter. Die Angaben geben an wie weit ein Himmelskörper seine Himmelsposition von einem zum anderen Tag verändert hat.

Übersetzt heisst das: nach dem ersten Auftreten in der Morgendämmerung, dem heliakischen Aufgang [1], beträgt der Abstand 12 Bogenminuten (') [1], also 0,2 Winkelgrad, am 60. Tag nur 9'30" (Bogensekunden [1]), also 0,16 Winkelgrad. Der Planet Jupiter war während dieser Zeitspanne bei seiner Bewegung am Himmel (entlang der Ekliptik) eindeutig langsamer geworden. (Abb. 3)

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Abb. 3 Die siebenzeilige babylonische Keilschrifttafel mit geometrischen Angaben
zur Bewegung des Planeten Jupiter am Himmel.
Links: Die 5. Keilschrifttafel mit sieben Zeilen, die Angaben über die geometrische Berechnung der Bewegung des Planeten Jupiter enthalten.
Rechts: Umsetzung der geometrischen Angaben bzw. Berechnung der Keilschriftafel in der Trapezdarstellung (Abb. 2, rechts). Basis der Berechnung ist die Messung der täglichen scheinbaren Geschwindigkeit des Planeten Jupiter am Himmel. Mithilfe dieser Geschwindigkeiten und der dazugehörigen Zeitpunkte konnte die Entfernung bestimmt werden, die Jupiter während dieses Zeitraumes zurückgelegt hat. Die Berechnung ist äquivalent zur geometrischen Methode der Gegenüberstellung von Geschwindigkeit und Zeit sowie der Berechnung der darunterliegenden Fläche. Die entsprechende Tontafel gibt an, dass Jupiter nach 60 Tagen eine Entfernung von 10°45 zurückgelegt hat: Die Grafik stellt die tägliche Geschwindigkeit (y-Achse) und die Zeit nach dem heliakischen Aufgang (x-Achse) dar. Die Einheit 1 entspricht 60 Tagen. In der zweiten Berechnung wird das Trapez in zwei kleinere Trapeze gleicher Fläche zerlegt; daraus kann man die Zeit ablesen, in der Jupiter die halbe Strecke am Himmel zurückgelegt hat.
© Trustees of the British Museum/M. Ossendrijver/Science

 

Zur Berechnung der Strecke, die Jupiter während eines bestimmten Zeitraumes am Himmel zurücklegt, benötigte man die Geometrie eines Trapezes. Das dazugehörige Diagramm (Abb. 2, rechts; Abb. 3 rechts) setzt die Zeit und die tägliche Veränderung des Planeten am Himmel miteinander in Beziehung: das Ergebnis ist ein Trapez.

Bei der Beobachtung des Jupiters während der auf der Tafel erwähnten 60 Tage kann man die Strecke bestimmen, die der Planet zurückgelegt hat. Davon ausgehend kann man beispielsweise den Zeitpunkt bestimmen, in der Jupiter die Hälfte der Strecke zurückgelegt hat. Dazu halbiert man die Fläche des Trapezes. Das Ergebnis ist nicht 30 Tage, sondern rund 28 Tage. [3]

Sämtliche der vier Tontafeln beschäftigen sich mit dem Planeten Jupiter und einer Zeitdauer von 60 Tagen.

Trapezberechnungen waren für die Babylonier nichts Neues: laut Ossendrijver konnten sie diese Berechnung bereits um 1800 v. Chr. durchführen [4], allerdings an Objekten aus dem Alltagsleben wie Gärten, etc. Er ist erstaunt, dass die Babylonier nicht nur arithmetische, sondern auch geometrische Himmelsberechnungen ausführten, insbesondere die des "halben Weges".

Bisher war man davon ausgegangen, dass diese Methode erst im 14. Jahrhundert (in der westlichen Welt) entstand. Als europäische Erfinder der Flächenberechnung gelten die sog. Oxford Calculators [1] in Grossbritannien sowie der französische Mathematiker Nicholas Oresme [1], der deren Ergebnis grafisch darstellte. Isaac Newton [1] entwickelte später die Integralrechnung [1].

Die Babylonier haben eine abstrakte mathematische und geometrische Methode entwickelt, um den Zusammenhang zwischen der Bewegung, der Position und der Zeit zu bestimmen. Grafische Darstellungen (wie in den Abbildungen 2 und 3) haben sie jedoch nicht benutzt.

Die babylonischen Trapezberechnungen sind nicht exakt, sie dienen jedoch dazu überhaupt Berechnungen (am Himmel) vornehmen zu können. Ein weiteres Beispiel der Anwendung babylonischer Geometrie auf Himmelsereignisse könnte die Vorhersage bestimmter Mondkonstellationen sein.

Die neue Studie ist ein extrem wichtiger Beitrag zur Geschichte der babylonschen Astronomie, der Interpretation anderer Tontafeln, antiker astronomischer Techniken sowie zur gesamten Wissenschaftsgeschichte.

 

Falls Sie Fragen und Anregungen zu diesem Thema haben, schreiben Sie uns unter kontakt@ig-hutzi-spechtler.eu

 

Ihre
IG Hutzi Spechtler – Yasmin A. Walter

 

Quellenangaben:

[1] Mehr Information über astronomische Begriffe
www.wikipedia.de

[2] Ossendrijver, M., in amor.cms.hu-berlin.de

[3] Ossendrijver, M., Science 351, 482-484 (2016)

[4] Ossendrijver, M., Journal of Cuneiform Studies 66, 149-165 (2014)

 

 

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